Foto: TU Braunschweig / Bormann
Die Schriftstellerin Marica Bodrožić erhält für ihr bisheriges Romanwerk den Preis der Ricarda Huch Poetikdozentur für Gender in der literarischen Welt 2017. Der Preis wird von der Stadt Braunschweig, der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Carolo Wilhelmina Braunschweig, dem Braunschweiger Zentrum für Gender Studies (BZG) und dem Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte an der Technischen Universität Braunschweig gestiftet und umfasst ein Preisgeld von 7.000 € sowie einen dotierten Lehrauftrag im Sommersemester 2017.
Die Verleihung des Preises an Marica Bodrožić sowie der Auftakt zu den öffentlich zugänglichen Vorlesungen erfolgt am 15. Juni 2017 an der Technischen Universität Braunschweig um 18:30 Uhr. Weitere Vorlesungen finden am 22. und 29. Juni sowie am 6. und 13. Juli 2017, jeweils 18:30 bis 20:00 Uhr statt. Ort: Technische Universität Braunschweig, Neuer Senatsaal (1. OG), Pockelsstr. 4, 38106 Braunschweig. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.
Marica Bodrožić ist 1973 in Kroatien geboren und lebt seit ihrem neunten Lebensjahr in Deutschland. Sie hat von Anfang an, so in ihrem Erzähldebut „Tito ist tot“ (2002) und dem Roman „Der Spieler der inneren Stunde“ (2004), die offizielle Lesart über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien infrage gestellt: Dem von Kriegsparteien angestimmten patriarchalen Blick hat sie eine von Erinnerung, Poesie und Momenten einer ‚transbalkanischen‘ Identität gesättigte, radikal andere Sicht entgegengesetzt, die in ihren jüngsten Büchern „Das Gedächtnis der Libellen“ (2009), „Kirschholz und alte Gefühle“ (2012) und „Mein weißer Frieden“ (2014) gipfelt. Letzteres ist „Für Saida, Lina, Ismeta, Vedrana und Petra & die anderen Frauen von Sarajevo“. Insbesondere das dortige Kapitel über den Zusammenhalt der Frauen in Sarajevo während der Phase der Belagerung, ein weibliches Miteinander jenseits religiöser, ethnischer oder weltanschaulicher Schranken, das seinen sinnbildlichen Ausdruck im Ritual des gemeinsamen Kaffeetrinkens findet, gehört zum Bewegendsten, was aus gender-kritischer Sicht über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien geschrieben wurde.
Von Marica Bodrožić als Ricarda Huch Poetikdozentin ist Aufschluss über Genderdimensionen in einer Region der literarischen Weltkarte zu erwarten, die über vielfältigste Querbeziehungen mit Deutschland verflochten ist. Zugleich hat sie zahlreiche eigene Möglichkeiten des Spiels, Umschreibens und Hintertreibens starrer Identitätsmuster und Rollenmuster ausgeprägt, die unsere literarische Gender-Kultur enorm zu bereichern und erweitern vermögen. Maria Bodrožić belebt die Welt, die sie darstellt, das „alte Jugoslawien“, durch ihre Fähigkeit zum Erzählen: „Das Gedächtnis der Zeit, es wirkt nach in den Geschichten der Menschen, die hier gelebt haben, ihre Mitteilungen liegen in der Luft“ (Weißer Frieden, S. 205). Bodrožić hat die Fähigkeit, sie zu spüren und lebendig werden zu lassen.
Marica Bodrožić zählt zu den wichtigsten Erzählerinnen ihrer Generation auf Deutsch. Sie erhielt u.a. den Preis der LiteraTour Nord, den Literaturpreis der Europäischen Union, den Literaturpreis der Adenauer-Stiftung, den Kulturpreis Deutsche Sprache. Ihre Wiesbadener Poetikvorlesungen von 2014 erschienen 2015 unter dem Titel „Das Auge hinter dem Auge“ und beschäftigten sich bereits mit Protagonistinnen weiblichen Schreibens wie Marguerite Duras, Christine Lavant oder Nathalie Sarraute (www.marica-bodrozic.de).
Marica Bodrožić, geboren 1973 in Dalmatien, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Sie schreibt Gedichte, Romane, Erzählungen und Essays und unterrichtet regelmäßig an Schulen und Universitäten.
Stichwort: Ricarda Huch Poetikdozentur
Die Ricarda Huch Poetikdozentur für Gender in der literarischen Welt ist im Jahr 2015 im Namen der prominenten Braunschweiger Schriftstellerin zur Förderung der Auseinandersetzung mit Genderdimensionen in der Gegenwartsliteratur ins Leben gerufen worden. Ricarda Huch gilt als Braunschweigs große Stimme, welche humanistische Tradition und Geschichtsschreibung in die literarische Moderne überführte. Gleichzeitig hat sie als Frau im öffentlichen Leben und in der kulturellen Praxis ihrer Zeit weibliche (und männliche) Identitäten in Frage gestellt.
Mit der Verleihung der Ricarda Huch Poetikdozentur zeichnen die Partner jährlich eine Dozentin oder einen Dozenten aus, die/der sich durch bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Gegenwartsliteratur oder der literarischen Kritik ausgewiesen hat und in deren bzw. dessen Werk Geschlechterdimensionen von zentraler Bedeutung sind, u. a. indem hierarchische Geschlechterverhältnisse, Geschlechterstereotype oder Ein- und Ausgrenzungen durch Geschlechternormierungen überschritten und tradierte Geschlechterordnungen kritisch hinterfragt werden. Als erste Preisträgerin wurde im Jahr 2015 die Journalistin Kristina Maidt-Zinke ausgezeichnet. 2016 erhielt die Autorin Annette Pehnt die Dozentur.